Shobha Sünkel

Laut einer Studie vom Bundesfamilienministerium hat knapp jede siebte Frau in Deutschland schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt. Darunter fallen Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung oder unterschiedliche Formen sexueller Nötigung. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer der misshandelten Frauen ist weitaus höher. Viele Frauen machen sich teilweise selbst verantwortlich für das, was passiert ist, oder melden ihre schrecklichen Erlebnisse aus anderen Gründen nicht.

Auf dem Instagram-Account “Why I didnt’ report” teilen Menschen ihre persönlichen Geschichten und erzählen, warum sie den sexuellen Missbrauch, den sie erfahren mussten, nicht angezeigt haben.
“Er war der Onkel meiner besten Freundin und ich wollte sie nicht verletzen”
“Ich denke immer noch, dass ich eine Mitschuld habe. Ich war zu schockiert, als dass ich Nein sagen hätte können”
“Ich wollte sein Leben nicht zerstören, obwohl er mein Leben zerstört hat”
“Ich habe mich nicht genug gewehrt!”

Das sind nur einige der vielen Aussagen unzähliger Betroffener, die teilweise erst nach weit über 10 Jahren ihre Stimme gefunden haben und ihre Erfahrungen teilen. Die Vorstellung davon, wie lange sie und so viele andere mit diesen Gedanken alleine gelassen werden, ist grausam. 

Und die Frauen, die doch den Mut aufbringen, ihre schrecklichen Erfahrung anzuzeigen, werden nicht selten in Frage gestellt. 
“Warum hast du so viel getrunken?”
“Warum trägst du roten Nagellack? Das gefällt den Männern”
„Was hattest du an?“
“Warum hast du dich denn nicht gewehrt?”

Und man glaubt es kaum, sogar wegen einem “weniger weiblichen” Aussehen wird ihnen nicht geglaubt. Laut einer Studie der Universität Washington und des Colby College wird Frauen, die weniger weiblich anmuten, seltener geglaubt, dass sie eine sexuelle Belästigung oder gar einen Übergriff erlebt haben. Wurde bei mehrdeutigen Szenarien sexueller Belästigung die beteiligte Frau als weniger attraktiv angesehen, wurde die mehrdeutige Szene eher nicht als sexuelle Belästigung eingeschätzt.

Ich fasse zusammen: wenn Frauen sexuell missbraucht werden, wird ihnen z.T. entweder nicht geglaubt, weil sie nicht weiblich genug aussehen oder ihnen wird die Schuld gegeben, weil sie ihre weiblichen Reize zu stark betont haben. Wundert es noch irgendjemanden, warum Frauen ihre Missbrauchserfahrung für sich behalten und mitunter schwere Posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln?

An der University of Arkansas wurde 2013 eine Kunstausstellung ins Leben gerufen, die zumindest mit einem Vorurteil gründlich aufräumt. Unabhängig davon, dass kein Outfit dieser Welt einen sexuellen Übergriff in irgendeiner Form rechtfertigen würde, wird eindrücklich gezeigt, dass selbst vermeintlich unauffällige Outfits keinen Schutz vor sexuellem Missbrauch darstellen. Die Ausstellung zeigt Geschichten sexualisierter Gewalt und die Kleidungsstücke, die die Betroffenen bei der Tat trugen.
“Einen Pyjama”
“Eine Jogginghose, ein Universitäts-Shirt und eine Baseball-Cap”
“Ein T-Shirt und eine Jeans”

Die Ausstellung hat es über weitere US-Universitäten mit Brüssel auch nach Europa geschafft. Aber solche Initiativen, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass sexualisierte Gewalt unter allen möglichen Umständen passieren kann, sind bislang Einzelfälle.

Eine positive Entwicklung in Deutschland, ist die Möglichkeit in einigen Krankenhäusern Gewaltspuren nach einem sexuellen Übergriff auch ohne Anzeige gerichtsfest zu dokumentieren. Diese Möglichkeit ist wichtig, da sich DNA-Spuren nur innerhalb von 72 Stunden zuverlässig sichern lassen können, aber diese Zeit den Betroffenen unmittelbar nach der traumatisierenden Erfahrung oft nicht ausreicht, sich zu entscheiden, ob sie Anzeige erstatten wollen oder nicht. 

Doch reine Hilfsangebote rund um ein mögliches Strafverfahren gehen zu kurz. In unserer Gesellschaft sind Sexismus, Manipulation und Unterdrückung von Frauen leider noch allgegenwärtig. Und besonders nach solchen traumatischen und schrecklichen Erfahrungen wie sexualisierter Gewalt benötigen betroffene Frauen eine helfende, liebevolle und verständnisvolle psychologische Unterstützung. Als Expertin für die Behandlung von Frauen, die sexuelle Gewalt erleben mussten, weiß ich wie wichtig es ist, als Betroffene mit dem Trauma abzuschließen.

Frauen wünschen sich, nicht mehr an sich selbst zu zweifeln sowie sich und dem Leben wieder vertrauen zu können. Sie wünschen sich, die schreckliche Erfahrung hinter sich lassen zu können und nicht mehr daran denken zu müssen. Sie wünschen sich, wieder nach vorne schauen zu können und sich wieder lebendig fühlen und lachen zu können. Seit über 20 Jahren begleite ich Frauen dabei auf diesem Weg. Niemand muss diesen Weg alleine gehen.

Falls du sexuelle Übergriffe oder Gewalt erleben musstest oder jemand Betroffenen kennst, vereinbare direkt hier einen Termin für ein kostenloses Erstgespräch oder schreib mir auf Facebook oder Instagram.